Didier Plaschy, kann RamonZenhäusern wieder gewinnen?
Der Oberwalliser Slalomfahrer hat eine Weltcupsaison zum Vergessen hinter sich.
Vieles hat mit seiner ungewöhnlichen Biomechanik zu tun. Trotzdem: ein paar Fragen.
Die ungute Nachricht erreichte ihn am Mittwoch im österreichischen Hinterreit. Ausgerechnet in Hinterreit im Salzburger Land, dem Trainingsmekka der Spitzenfahrer. An diesen Flecken Erde hatte Ramon Zenhäusernschlechte Erinnerungen. Die Nachricht: Der letzte Slalom in Kranjska Gora vor dem Weltcupfinale musste wegen Regen abgesagt werden, somit kann sich Zenhäusern nicht mehr für
das Schlussbouquet in Saalbach qualifizieren. Die besten 25 Slalomfahrer des Jahres dürfen dort
an den Start, der Oberwalliser ist bloss 27. Für einen Medaillengewinner und Mehrfachsieger ein Absturz.
Seine enttäuschende Weltcupsaison geht somit zu Ende. Das Erste, was er bei dem Anruf in einer Mischung aus Schock und Fatalismus fragte, war: «Hast du es auch gehört?» Was man wissen muss: Kranjska Gora ist Zenhäuserns Lieblingshang. Hinterreit eben. Weil beim Slalom im Januar in Wengen praktisch alle Schweizer im obersten Teil viel Zeit verloren hatten, setzte Cheftrainer Tom Stauffer im ersten HinterreitTraining eine Extra-Prämie von 100 Franken für den Besten bei der ersten Zwischenzeit aus, um einen schnelleren Start aus seinen Fahrern herauszukitzeln. Zenhäusern war an jenem
Tag nicht beschwerdefrei. Er war zuvor in Wengen gestürzt, spuckte Blut, musste pausieren und danach zehn Stunden im Auto nach Österreich fahren. Womöglich war angesichts dessen auch das Warm-up zu wenig gut gewesen. Er hielt sich wegen der Wette um die läppischen 100 Franken nicht zurück und fuhr wie ein Ochse, wie er selbst sagte. «Da verdrängte der Wettkämpfer in mir die Vernunft.» Prompt schoss es ihm in den Rücken. Die Folge: Er musste auf Kitzbühel verzichten. Auch kurz darauf beim Nachtrennen in Schladming war er nicht hundertprozentig fit, ging aber gleichwohl an den Start und schied nach zwei sehr starken Zwischenzeiten aus.
Plaschy: «Eine körperliche Herausforderung»
Die Hinterreit-Episode und ihre Folgen zeigen, wie verwunschen diese Saison war. Dabei sind die Dinge komplex, das eine hat oftmals mit dem anderen zu tun. Gerade bei einem Wackel-Skelett ist die körperliche Integrität zentral. Slalomexperte Didier Plaschy sagt es so: «Während Slalom bei den meisten Athleten oft eine mentale Herausforderung ist, ist es bei Zenhäusern in erster Linie
eine körperliche.» Was oft vergessen gehe, sei die Tatsache, dass es sich bei ihm trotz der Erfolge immer noch um ein biomechanisches Wunder handle. «Zwei Meter Höhe auf einem 1,65-m-Ski in Kurven, auf fallendem Gelände und auf Eis im Gleichgewicht halten zu können, ist brutal. Die Fliehkräfte sind bei ihm um einiges grösser als bei der Konkurrenz.» Da brauche es wenig, damit das System aus dem Ruder laufe. Angesichts dessen sei es schon fast Zauberei, dass so einer an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften Medaillen gewonnen und Weltcupsiege eingefahren habe. Das dürfe man nie ausser Acht lassen. «Aber es war und es ist für ihn nicht einfach, und es wird nicht einfach bleiben.»
Plaschy vergleicht Zenhäusern gerne mit einer Drückfigur. Das ist ein Spielzeug-Männchen, das stramm steht, solange alles gespannt ist. Drückt man aber auf den Knopf, welcher die Spannung löst, fällt die Figur in sich zusammen.
Der Varner Slalom-Nerd sagt: «Er ist fit wie ein Turnschuh. Sein Körper muss aber in einem 1A-Zustand sein. Ein kleines Defizit oder Schlagseite verträgt es bei ihm viel weniger als bei den anderen.»
Bereits bei zehn Zentimetern weniger Grösse wäre er so manches Problem los. Der zweitgrösste Slalomfahrer von Qualität ist Clément Noël mit 1,91 m. Der riskant fahrende Franzose hat es leichter, kämpft aber oft mit mentalen Schwierigkeiten. Derartige Herausforderungen kommen bei Zenhäusern auch noch dazu, auch wenn er über eine starke Psyche verfügt.
Der Rücken und Corona
Der für den Skiklub Bürchen fahrende 31-jährige Visper kann in diesem Weltcupwinter in neun Rennen gerade mal einen 14. Rang aus Adelboden als Bestresultat vorweisen. Viermal fehlte er, fiel aus oder qualifizierte sich nicht für den Finallauf. «Ich kam einfach nie in den Flow», sagt Zenhäusern. Ein Grund ist sein Rücken. Seit Januar war ein Training deswegen kaum möglich. In den USA im Februar setzte ihn auch
noch Corona matt, mehrere Tage lag er flach. Irgendwann war die Spritze gehen die Rückenbeschwerden nötig, danach fühlte er sich in Aspen Anfang März so gut wie nie, der Rücken bereitete keine Schwierigkeiten mehr.
Er sagt: «Ich war in Form und die ersten 15 Sekunden auf dem schwierigsten Abschnitt waren
sehr gut.» Dann kam der Einfädler. Wieder ein Rückschlag und Zenhäusern fragte sich: Was kommt
eigentlich als Nächstes? Was keiner registrierte: Fünf Tore zuvor war an seinem Ski, mit dem er einfädelte, der sogenannte Geierschnabel gebrochen. Dabei handelt es sich um ein asymmetrisches Teil an der Spitze des Skis, dessen Funktion es ist, den Ski gerade noch um die Torstange zu lenken, wenn es
knapp wird. Dabei geht es um Millimeter, die ein Rennfahrer dadurch näher an der Torstange vorbeifahren kann. Der Erfinder des Geierschnabels ist der inzwischen verstorbene italienische Skirennläufer Erwin Stricker. Er hatte bereits die gebogenen Stöcke und den aerodynamischen
Abfahrtshelm erschaffen. Zenhäusern: «Ob ich mit dem Schnabel im Rennen geblieben wäre, wird man nie genau wissen, aber es war wie verhext.»
Er mache sich jedoch keine Sorgen, denn er sei gesund und habe die Grundgeschwindigkeit
weiterhin drauf. Worauf er womöglich noch besser achten müsse in Zukunft, sei die Stärkung
seines Rückens und der kleinen Muskeln.
«Die Slalomtechnik hat sich nicht entwickelt»
Beobachter sind oft schnell zur Stelle, wenn es um Urteile und Analysen geht. Zenhäuserns Zeit sei abgelaufen, ist immer wieder zu hören. Das hält sich wohl deshalb so hartnäckig, weil es immer noch als unwahrscheinlich scheint, dass man sich mit zwei Metern schnell auf steil hängendem Eis bewegen kann. Abgeschrieben wurde er eigentlich bereits seit jeher. Das ist nichts Neues für ihn. Nach der zweiten schlechten Saison in den letzten drei Wintern kommt jedoch die Frage der Technik wieder an die Oberfläche. Hat Zenhäusern womöglich etwas verpasst?
Plaschy glaubt nicht, dass in dem Bereich ein Problem besteht. «Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Denn die Slalomtechnik hat sich nicht entwickelt», sagt er. «Wer 2023 wie Zenhäusern zwei Slaloms hat gewinnen können, wird es auch 2025 können. Sein grosses Thema ist die körperliche Challenge.»
Es gibt immer noch diverse Wege zu einem Sieg. Ein Noël oder auch ein Feller fährt die
Tore sehr direkt an, ein Meillard oder Yule kommt mehr von hinten und ein Ryding fährt
noch runder. Sie alle haben bereits gewonnen.
Plaschy stellt sich andere Fragen: «Wie frisch ist er noch im Kopf? Braucht er nicht vielleicht einen neuen Input? In der Niederlage ist es leichter, sich solchen Fragen zu stellen.»
Und Zenhäusern sagt: «Eigentlich bin ich lieber der Jäger als der Gejagte.» Das ist er nach dieser Seuchensaison definitiv.
Roman Lareida