«Ich bin sprachlos glücklich» –Zenhäusern wie Zurbriggen
Ramon Zenhäusern gibt eindrückliches Comeback. Somit schreiben zwei Oberwalliser beim Nachtspektakel Schladming Skigeschichte.
Der Hermann Maier hatte soeben aufgehört gehabt, und der Didier Cuche raste immer noch die steilsten Hänge hinunter. Ein Ivica Kostelic wedelte zu jener Zeit noch um die Torstangen, ein Marcel Hirscher auch, alles lange her. Aber geschichtsträchtig ist der Moment bis in die heutige Zeit geblieben.
In der Weltcupsaison 2009/10, mittlerweile also 13 Winter her, schaffte Silvan Zurbriggen nämlich etwas, was keinem Schweizer zuvor gelungen war. Als Zweiter des Nachtslaloms von Schladming sprengte er vor
rund 50’000 Skifans nicht bloss ein rein österreichisches Podest, sondern war der erste Schweizer Techniker unter den Top 3 am zuschauerstärksten Skievent im ganzen Weltcupkalender. Ähnliches schaffte in der Folge bloss Daniel Yule mit seinen drei dritten Plätzen in Serie (2018–2020). Besser als Zurbriggen oder gleich stark war auf der berühmten Planai in der Steiermark bis heute kein
Swiss-Ski-Athlet.
Bei der gestrigen Austragung des legendären Nachtslaloms stand Loïc Meillard nahe dran, diese innerhelvetische Bestmarke zu übertreffen, ja immerhin zu egalisieren. Er durfte als Dritter nach dem 1. Lauf mit einem Rückstand von 0,3 Sekunden auf den Norweger Henrik Kristoffersen auf den ganz grossen Coup hoffen wie Teamkollege Yule wenige Tage vorher in Kitzbühel.
Doch weder Meillard, der auf den fünften Platz zurückrutschte, als auch Daniel Yule, der im 2.Lauf ausschied, vermochten die Schweizer Ehre zu retten.
Dafür sprang ein Altbekannter ein, der letzte Saison bös unten durch musste.
Was für eine Erlösung für Ramon Zenhäusern: Ihm gelingt vor rund 40’000 Fans ein Comeback in der Weltspitze. Er rückte vom fünften auf den zweiten Rang vor, nur der Franzose Clément Noël war noch schneller. Zenhäusern fehlten gerade mal 0,07 Sekunden für den Sieg. Zenhäusern im Schweizer Fernsehen: «Ich bin sprachlos. Sprachlos glücklich. Letztes Jahr war ich am Boden zerstört und jetzt
diese Rückkehr. Dass ich den Sieg so knapp verpasst habe, ist mir in diesem Augenblick egal. Manche haben mich abgeschrieben, auch ich bekam zuweilen Zweifel. Doch es ist wunderschön zu sehen, wie der Weg das Ziel ist.»
Damit egalisiert Zenhäusern das von Zurbriggen gehaltene Schweizer Bestergebnis in Schladming. Besser als die beiden Oberwalliser Z war bei diesem legendären Nachtrennen noch nie ein Schweizer Slalomfahrer.
Was geschah mit Yule?
Yule ist ein Meister auf eisigen Pisten, wie er sie in Madonna di Campiglio und Kitzbühel vorfand, und gewann. Das hat auch mit seinem Material zu tun, das die Lösung für pickelharte Unterlagen gefunden hat, nicht aber für Frühjahrsschnee, wie er gestern Abend in Schladming bei Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschte. War die Piste oben noch glatt, wurde sie tiefer zusehends schmieriger.
Kein Wunder, meinte Siegfried Vogelreiter, der Rennchef bei Fischer, zuletzt gegenüber der NZZ denn auch salopp: «Es ist halt schwierig, mit einem Formel-1-Auto auf einer Schotterpiste zu fahren.»
Weichere Pisten wie gestern in Schladming leisten bloss geringen Widerstand, harte sehr
wohl, sodass die Skier beim Kantendruck Energie generieren und den Fahrer nach vorne schleudern. Das ist Yules bevorzugte Slalom-Welt.
Hinterhältiger Slalom
Und wie unberechenbar, ja hinterhältig der Slalom selbst für Spitzenfahrer sein kann, bewies ungewollt Linus Strasser. Der Deutsche befindet sich zwar in Hochform und gilt für die bevorstehende WM als heisser Medaillenanwärter, doch Strasser fädelte im 1. Lauf bereits nach dem zweiten (!) Tor ein.
Ein aussergewöhnlich trostloses Ende für einen Star der Szene, der selten ausscheidet.
Ein anderer mit Name Ramon Zenhäusern ist dafür definitiv zurück. Seine Resultate in diesem WM-Winter offenbaren den Aufstieg: 14./21./12./8./ 9./7. und jetzt Zweiter. Viel fehlt nicht mehr für den ganz grossen Coup.
Roman Lareida/ wb 25.1.2023
Schladming (AUT). Weltcup-Slalom der Männer: 1. Clément Noël
(FRA) 1:48,97. 2. Ramon Zenhäusern (SUI) 0,07 zurück. 3. Lucas
Braathen (NOR) 0,38. 4. Manuel
Feller (AUT) 0,45. 5. Loïc Meillard
(SUI) 0,60. 6. Atle Lie McGrath
(NOR) 0,95. 7. Kristoffer Jakobsen (SWE) 1,09. 8. Alexander Steen
Olsen (NOR) 1,16. 9. Fabio Gstrein
(AUT) 1,19. 10. Timon Haugan
(NOR) 1,23. 11. Henrik Kristoffersen
(NOR) 1,33. 12. Dave Ryding (GBR)
1,80. — Ferner: 17. Luca Aerni (SUI)
2,61. 24. Marc Rochat (SUI) 5,60.
— 27 der 30 Finalisten klassiert.
Ausgeschieden u.a.:Daniel Yule
(SUI), Tanguy Nef (SUI)