Über Frank Wörndl, Glücksbringer,den Urschrei und Investmentbanker
Ramon Zenhäusern hat sich nach einer schwierigen Saison an die Weltspitze zurückgekämpft. Nicht alle haben ihm das zugetraut. Der 30-Jährige nimmt vor dem WM-Slalom pointiert Stellung.
Ramon Zenhäusern…
…über Frank Wörndl*
«Frank hat mich schon nach dem Podestplatz in Schladming angerufen und nach Chamonix gleich nochmals. Er hat mir gratuliert und sich für seine Aussagen entschuldigt. Das fand ich schön. Trotzdem: Es ist schon erstaunlich, wie schnell man abgeschrieben wird. Ich war vorher immerhin vier Saisons lang unter den besten sieben Slalomfahrern der Welt. Eine solche Konstanz können nur wenige aufweisen.»
*Frank Wörndl gewann kein einziges Weltcuprennen. Doch 1987 in CransMontana wurde er Weltmeister im Slalom. Bei den Olympischen Spielen 1988 gewann er Silber. Nach seiner Karriere ist der Deutsche als Fernsehkommentator und Markenbotschafter tätig. Nach der letzten Saison hat er Zenhäusern abgeschrieben, weil sich der Slalom zu sehr weiterentwickelt habe. – Red.
…über die Diskussionen um seine Grösse
«Wenn ich im Flachen schnell bin, dann wird das auf die Grösse geschoben. Wenn aber Albert Popov aufgrund seiner Körpergrösse von 1,64 m in steilem Gelände dank seiner Wendigkeit sehr schnell ist, bezeichnet das niemand als Wettbewerbsvorteil. Dass ich ausgerechnet in Schladming, auf dem steilsten
Slalomhang der Welt, aufs Podest gefahren bin, erfüllt mich schon mit Genugtuung. Steil, flach, eisig, weich: Ich habe gezeigt, dass ich auf allen Unterlagen schnell sein kann. Insofern erübrigen
sich diesbezügliche Diskussionen.»
…über den Vorwurf,
zu wenig risikobereit zu sein
«In meiner Karriere gabs nie Leistungssprünge, ich habe mich immer kontinuierlich gesteigert. Das war auch in dieser Saison auf dem Weg zurück an die Weltspitze so. Ich denke, das ist vom Typ abhängig. Fahrer wie Feller oder Braathen fahren nach dem Prinzip ‹ghaue oder gschtoche›. Feller ist mittlerweile zwar konstanter geworden, aber von der Mentalität her lässt er sich nicht verunsichern, auch wenn er mal rausfällt oder schlecht fährt. Der kann das ausschalten, bringt am nächsten Tag wieder die volle Leistung. Ich hingegen bin einer, der überlegt zur Sache geht und nicht zu viel Risiko eingeht, der typische ‹Raiffeisenbänkler› halt. Manchmal läuft das auch unbewusst ab. Ich will zwar riskieren, aber das Unterbewusstsein bremst mich. In Kitzbühel etwa war ich erstmals wieder unter den besten 15 in der Startliste. Klar wollte ich attackieren und aufs Podest fahren, aber es spielte halt der Gedanke mit, dass ich ein Resultat bringen muss, um nicht wieder aus den ersten 15 zu fallen. Ich bin dann Siebter geworden, was auch gut war, aber ich war noch nicht bereit, das in die Waagschale zu werfen, was ich dann in Schladming oder Chamonix gemacht habe. Ich bin zufrieden, so wie es ist. Der ‹Raiffeisenbänkler› macht seinen Job gut, auch wenn er mich mal bremst. Und wer weiss, vielleicht kann ich ja je länger je mehr auch zum ‹Investmentbanker› werden. Wenn die Basis mal gelegt ist, liegen auch grössere Investments drin.»
…über die Änderungen
nach der letzten Saison
«Die letzte Saison war schwierig. Da macht man sich schon Gedanken. Nicht, dass ich den Bettel hinschmeissen wollte, das hätte ja auch keinen Sinn ergeben. Aber klar habe auch ich mich gefragt, ob es mir nochmals gelingt, so stark zurückzukommen. Und vor allem habe ich gewusst, dass ich etwas ändern muss, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Jahrelang lief alles nach dem Motto pushen, pushen, pushen, es war ein bisschen wie das Auspressen der Zitrone. Ich habe gewusst, dass ich den Ansatz ändern muss. Deshalb bin ich die gesamte Vorbereitung ohne Zeitmessung gefahren, habe mich
wieder auf die technischen Sachen konzentriert, was ich in den Jahren davor etwas vernachlässigt hatte, weil es immer um die Hundertstel ging. Das Ausschlaggebendste aber war: Ich habe die Freude am Skifahren wiedergefunden. Letztendlich bin ich froh, dass ich den Absturz bis Rang 25 erlebt habe. Es ist
ja wirklich nicht ein schönes Erlebnis gewesen, aber die Geschichte hatte nun ein Happy End. Ich habe gesehen, was für einen tollen Beruf ich ausüben darf, was für ein Privileg ich damit habe. Ich bin dadurch dankbarer geworden und schätze und geniesse die Erfolge jetzt viel mehr.»
…über die Bedeutung
des Materials
«Lassen sie mich etwas ausholen. Vor zwei Jahren, beim Weltcupfinal in Lenzerheide, habe ich mich entschieden, das Material zu wechseln. Ich bin zuvor fünf, sechs Jahre lang immer das gleiche Skimodell gefahren und es gab Stimmen von Trainern und Betreuern, die sagten, dass sich das Material weiterentwickelt, dass ich etwas ändern sollte. Und ich hatte schon auch das Gefühl, dass ich mit dem bisherigen Material langsam an den Anschlag komme, dass es etwas Besseres gibt auf dem Markt, einen
Ski, der in den Kurven noch mehr Power gibt. Der Wechsel ist dann in die Saison mit dem Trainingssturz gefallen und wir haben uns zunehmend verrannt. Ich bin sieben verschiedene Ski gefahren. Der Höhepunkt war der Weltcupfinal in Méribel. Da wusste ich eine Stunde vor
dem Start noch nicht, welchen Ski ich nehmen soll, ich war völlig verunsichert. Manchmal habe ich zwischen den Läufen wieder das Modell gewechselt. Das funktioniert nicht, zumindest nicht bei mir. Ich brauche einen Ski, mit dem ich jeden Tag fahre, den ich spüre, für den ich ein Gefühl aufbaue. Jetzt habe ich ein neues Modell gefunden, das funktioniert, und ich hoffe, dass ich ein paar Jahre mit diesem fahren kann. Philippe (Petitjean, sein neuer Servicemann – Red.) hat sicher geholfen. Er ist 36 Jahre lang bei Rossignol, hat eine Riesenerfahrung und ist in der Firma bestens vernetzt. Er macht sich jetzt schon Gedanken, was für mich in Zukunft interessant sein könnte.»
…über die Favoritenrolle
an der WM in Courchevel
«Ich bin bei den letzten beiden Rennen aufs Podest gefahren. Es ist klar, dass dadurch die Erwartungen steigen, dass ich auch ein bisschen in die Favoritenrolle gedrängt werde. Früher wäre das eine Belastung gewesen, heute freue ich mich. Ich bin dankbar für den Weg, den ich gegangen bin. Weil ich die andere Seite auch gesehen habe, bin ich gelassener geworden, schätze alles viel mehr. Aber klar werde ich am Renntag nervös sein. Und alles, was vorher war, bringt dir an diesem Tag nichts. Das Rennen startet bei null und es gibt mindestens 20 Kandidaten, vielleicht sogar 30, die eine Medaille gewinnen können. Ich werde versuchen, mein Potenzial abzurufen. Wenn es klappt, ist gut und wenn nicht, ist es definitiv kein Weltuntergang. Ich habe schon so viel erreicht in dieser Saison, ich bin schon so happy. Ich werde versuchen, den Moment zu geniessen. Ich bin fit, das Material stimmt, alles passt und ich kann so
an die WM gehen. Das ist eine andere Ausgangslage als im letzten Jahr vor
Olympia.»
…über den Urschrei
«Den Urschrei vor dem Start habe ich schon länger nicht mehr gemacht. Es ist nicht so, dass die FIS mir das verboten hätte. Aber es kommt auf die Situation an, und im Moment brauche ich es nicht, weil ich gelassener geworden bin. Entstanden ist das Ganze in Schladming: Ich war nach dem ersten Lauf
Vierter, dazu der steile, eisige Hang, die vielen Leute. Ich habe mir quasi die Angst aus dem Leib geschrien. Es hat aber auch Situationen gegeben, da habe ich geschrien, um mich zu pushen.
In der Saison 2018 etwa. Da fand eine Woche nach den Olympischen Spielen in Pyeongchang der Weltcupslalomin Kranjska Gora statt. Nach all den Verpflichtungen war ich energiemässig am Ende, da habe ich das Schreien gebraucht, um mich zu pushen. Es ist halt situationsabhängig, denn es bringt
ja nichts, das nur als Ritual zu machen. Im Moment bin ich eher leise, ein leichtes Knurren ist schon noch da, aber kein Brüllen. Dazu versuche ich, mich mit den Energiesticks zusätzlich zu motivieren.»
…über Glücksbringer
«Ich habe schon verschiedene Glücksbringer und da kommt immer mal wieder einer hinzu. Am vorletzten Sonntag, beim Hockeymatch in Visp, habe ich von den Oltener Fans einen kleinen Kaminfeger erhalten, das war ‹härzig›. Der kommt sicher mit an die WM. Was ich immer mit dabei habe, ist eine Gebetskette der Grosseltern. Der Opa macht die selber aus Monstranzbohnen. Die wachsen im Garten, mit so einer Monstranz darauf. Der Opa bohrt die und macht eine Kette draus, die habe ich immer mit.»
Interview: Alban Albrecht, 18.2.2023