Die perfekte Version seiner selbst
Im Hochleistungslabor OYM wird aus Ramon Zenhäusern der gläserne Athlet. Selbst sein Schlaf und sein Essen kommen jetzt unter die Lupe.
Text: Roman Lareida Fotos: pomona.media/Daniel Berchtold
Das OYM-Zentrum
On your marks! Auf die Plätze! So heisst das womöglich weltweit modernste Leistungszentrum für Spitzensport und Forschung in Cham bei Zug. Seit einem Jahr ist es offen. Hans-Peter Strebel war einst ein Apotheker aus Zug, dann entwickelte der promovierte Pharmazeut zusammen mit anderen ein Medikament gegen Multiple Sklerose (MS). Heute ist er Präsident des EV Zug, sein Vermögen schätzte die «Bilanz» kürzlich auf gegen 500 Millionen Franken. Das innovative OYM mit insgesamt 30 000 Quadratmetern Fläche hat er für rund 100 Millionen Franken bauen lassen. Schweizer Eishockey-Meister EV Zug hat hier seine Basis. Stürmer Justin Abdelkader, der zuvor lange Jahre in der NHL gespielt hatte, meint: «So etwas habe ich noch nie gesehen.» Eine der zahlreichen Besonderheiten: der Glasboden in einer Dreifach-Turnhalle. Die Spielfeldmarkierungen der einzelnen Sportarten können mittels LED-Linien eingeblendet werden. Die Glasoberfläche ist aufgeraut, sodass sie auch bei Schweissrückständen nicht rutschig ist. Zudem verbrennen sich die Sportlerinnen und Sportler bei einem Sturz nicht die Haut. Da die Bodenplatten gefedert sind, werden nur 20 Prozent der Energie auf den Körper zurückgeworfen, was das Unfallrisiko mindert. Ramon Zenhäusern: «Die Vernetzung ist das grosse Plus. Hier habe ich alles unter einem Dach.» In Cham sind die vier Kernkompetenzen Athletik, Gesundheit, Ernährung und Forschung vereint und greifen ineinander ein. Mit Daten zu Training, Gesundheit und Ernährung formiert OYM ein digitales Abbild von Zenhäusern. Und anhand der personifizierten Datenanalyse wollen die SportWissenschaftler anschliessend seinen Trainingserfolg maximieren. Das Ziel für Zenhäusern: neue Algorithmen zur Trainings- und Ernährungssteuerung sowie massgeschneiderte Trainings-, Ernährungs- und Rehabilitationsmethoden. Der Mann im Hintergrund ist Marco Toigo. Der renommierte ETH-Muskelforscher ist Experte auf dem Gebiet der molekularen, zellulären und systemischen Adaptation des menschlichen Körpers an Trainings- und Ernährungsreizen. Zenhäusern: «Das alles ist hoch spannend.» Der Visper wird in Cham als Einzelsportler-Aushängeschild des OYM angesehen. Zugelassen sind nur Athletinnen und Athleten, die im HochleistungsBereich gute Resultate liefern.
Die Athletik
Ramon Zenhäusern: «Vorher habe ich einmal am Tag intensiv Athletik trainiert. Jetzt sind es zwei Einheiten am Tag. Im Grunde genommen bin ich von 8.00 bis 18.00 Uhr im OYM und arbeite durchgehend an meinem Körper, ernähre und erhole mich und mache Physiotherapie.» Die Athletikhalle mit 270 einzelnen Geräten ist 3000 Quadratmeter gross. Hier hat es für jeden Muskel einen Bewegungsapparat. Ein wenig erinnert es an eine Folterkammer. Die Temperatur wird im Sommer wie im Winter auf 20 Grad und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit gehalten. Nur so kann man die Testergebnisse über längere Zeit miteinander vergleichen. Zenhäusern: «Es ist streng und hart, aber nach vielen Jahren ist das eine willkommene Abwechslung und ein neuer Anreiz. Möglich, dass ich den Kraftbereich in der Vergangenheit etwas vernachlässigt habe. Nicht dass ich zuvor nicht professionell trainiert hätte, aber es war eher alternativ. Jetzt ist es wissenschaftlich und strukturiert – ein anderer Ansatz.» Zenhäusern wird im OYM sozusagen vom «Freestyler» zum gläsernen Athleten. Sein Trainer ist Mike Slongo, ein früherer Athletiktrainer des EV Zug. Er sagt zum personifizierten Trainingsplan: «Garantien kann ich keine abgeben. Er geht darum, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Arbeit mit den Muskeln sich erfolgreich auf seine Rennen auswirkt. Die Kraftsteigerung oder -optimierung, die wir auch Slalom-spezifisch einsetzen, soll letztlich dazu dienen, dass er mit seiner Renntechnik ein höheres Tempo fahren kann.» Slongo strebt den athletisch perfekten Zenhäusern an. Zenhäusern ist sich bewusst, dass seine Off-SnowArbeit mit dem OYM nur einen Teil des Rennfahrers Ramon Zenhäusern abdeckt. «Slalom ist hochkomplex. Material, Schneetechnik, Psychologie, das alles kommt noch hinzu.» So wird Zenhäusern auf die neue Weltcupsaison hin nach vielen Jahren auf neues Material setzen.
Die Ernährung
Ramon Zenhäusern sitzt am Mittag vor seinem Teller und schwärmt: «Ich freue mich, hier dreimal am Tag zu essen. Ich bin fast ein Freak geworden. Obwohl ich intensiver Kraft trainiere, habe ich das Gefühl, dass ich schneller regeneriere. Ansonsten konnte ich drei, vier Tage kaum mehr laufen vor lauter Muskelkater. Nun bin ich früher wieder bereit fürs Training.» Christoph Schär ist Diätkoch und der Chefkoch des achtköpfigen Küchenteams im OYM. Er arbeitet zusammen mit Ernährungswissenschaftlern, seine Crew kocht für den EishockeyMeister EV Zug bei Heim- und Auswärtsspielen. Und er sagt stolz: «Dem Essen wird hier die genau gleiche Bedeutung zugemessen wie etwa dem Muskeltraining. Denn viele ernähren sich vor, während und nach dem Sport immer noch falsch.» In Zug ist man der Meinung, dass man die Ernährung in der Sportwelt zu lange vernachlässigt hat. OYM-Gründer Hans-Peter Strebel: «Es nützt nichts, grosse Reize in der Muskulatur zu setzen, wenn die zur Umsetzung benötigten Nährstoffe nicht verfügbar sind.» Das Team hat Hunderte von Rezepten, die kulinarisch und ernährungsphysiologisch hochwertig sind. Schär: «Wir verwenden keine Fremdstoffe, keine hormonaktiven Substanzen in den Nahrungsmitteln. Wir kochen alles frisch, ohne Alkohol und verwenden kein einziges Convenience-Produkt.» Zudem produzieren Schär und Co. pro Woche 1200 hochwertige Getränke. Hinzu kommen eigene hypotonische Getränke mit Natrium- und Kaliumchlorid zum Rehydrieren sowie Glykose und Fructose, um den hohen Energiebedarf an Wettkämpfen abzudecken. Dazu eigene Proteinriegel mit weissen Bohnen, ohne Zucker und Fett. Selbst Foodboxen zum Mitnehmen gibt es. Das Ziel im OYM wird sein: Ein Avatar via App, der anzeigt, wenn eine Sportlerin oder ein Sportler zu viel oder zu wenig Proteine, Kohlenhydrate oder Fett einnimmt. Nährwerte zu den Lebensmitteln sind hinterlegt und neben den «Big 7» (Brennwert, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiss, Nahrungsfasern, Salz) auch nach allen Aminosäuren aufgeschlüsselt. Aufgrund der gesammelten Daten auch aus seinen Leistungen variieren die Wissenschaftler die Essgewohnheiten von Zenhäusern passend zu seinem Training. Chefkoch Schär: «Ich kann nicht mehr hören, wenn es heisst, man müsse sich so und so ernähren. Denn was für einen Menschen gut ist, ist für den andern vielleicht weniger gut.» Es wird in Cham also je nach Belastung und Trainingsphase am jeweils perfekten Zenhäusern Menü getüftelt.
Auf dem Eis
Eine Stunde vor der Eishockey-Nationalmannschaft, die ihre letzten Vorbereitungen vor der WM im OYM absolviert, steht Ramon Zenhäusern auf dem Eis. Trainer Slongo zum sogenannten Transfertraining: «Das Eis kommt der Skipiste dank dem Gleiten nahe. Es geht um das Spiel mit der Kante.» Und Zenhäusern: «Dass es hier Eis hat, ist ein Vorteil für mich.» Slalom-Weltcupstrecken sind heute denn auch keine Pisten mehr, sondern Eisflächen. Das Duo kann auf dem Eis aufgrund von Kunstgriffen mit dem Tempo variieren, man kann Körper und Geist mit Simulationen lernen, in der Bewegung mit Störungen umzugehen – etwa mit einem Schlag auf der Rennstrecke oder mit schlechter Sicht. Viele (Gleichgewichts-)Übungen erinnern dabei an Zenhäuserns früheren Jahre mit Didier Plaschy. So hatte der unkonventionelle Plaschy mit einem Bus Zenhäusern hinter sich hergezogen, der auf einem Kickboard stand. Waren die Übungen früher archaischer, so sind sie heute im OYM ausgereift und wissenschaftlich begleitet. Zenhäusern: «In jungen Jahren stand ich mit dem Team Plaschy oft um 6.00 Uhr oder früher in der Litternahalle in Visp auf dem Eis.» Im OYM kann er mit den Schlittschuhen auch auf ein Laufband aus synthetischem Eis gehen. Das Besondere: Das Eisfeld kann von europäischer Grösse auf das kleinere nordamerikanische Feld verändert werden. Bis sich die hydraulischen Banden verschoben haben, dauert es rund drei Stunden. Auf diversen Rapid-Schuss-Anlagen kann die Schusstechnik trainiert werden. Das hingegen ist für den EV Zug und die EVZ Academy gedacht, nicht für einen Slalomfahrer. Zenhäusern absolviert das tägliche Warm-up oft mit Eishockeyprofi Reto Suri, der neu von Lugano nach Zug wechselt.
Die Erholung, Physio und Reha
Der tägliche Mittagsschlaf ist Zenhäusern heilig. Im OYM stehen diverse Erholungsboxen, Musik, Naturgeräusche und mehr inklusive. Zenhäusern legt sich hin und ist bald weg. Überhaupt ist die Bedeutung des Schlafes gross. Trainer Slongo: «Schlaf und Ernährung sind die besten Tools für die Regeneration.» So muss Zenhäusern jeden Tag schriftlich seine Schlafzeiten und -qualität abgeben. Auch diese Daten fliessen in sein Programm ein. Zenhäusern trainiert von Montag bis Freitag, am Wochenende hat er frei, ausser einem rund 90-minütigen Alternativprogramm. «Da ich jetzt nahe dem See lebe, werde ich vor allem schwimmen gehen», sagt er. Denn Zenhäuserns Lebenspartnerin, die Beachvolleyballerin Tanja Hüberli, lebt bloss eine halbe Autostunde vom OYM entfernt. Rund zwanzig Minuten entfernt hat er zudem eine kleine Wohnung, und seine Schwester Romaine lebt bloss 40 Minuten entfernt. Dadurch wird er seltener im Oberwallis sein. Auch Sponsorenanlässe finden meistens in der Deutschschweiz statt. In der Rehabilitation hat es ein Therapie-Bad mit Unterwasser-Laufband. Dabei kann der Wasserstand und das Tempo reguliert werden, die Belastung wird dadurch stufenweise erhöht. Zenhäusern: «Ich hoffe, ich brauche die Reha möglichst wenig.»