Findet Zenhäusern den Anschluss wieder? «Ich will und muss Geduld haben»
Das Auf und Ab
«In meiner Karriere war es lange immer aufwärts gegangen. Manchmal wenig, aber es ging aufwärts. Ist man dann einmal Top 3, so bleibt zwangsläufig nicht mehr viel, um besser zu werden. Es wird immer schwieriger. Auch deshalb ergaben sich zuletzt Schwankungen. 2021 war eine starke Saison, 2022 eine
schlechte, 2023 ein starke, 2024 eine schlechte. Nun wäre also wieder eine starke an der Reihe, ich hätte nichts dagegen.
Aufs Neue habe ich letzte Saison erlebt, wie wichtig die Gesundheit ist. Ich meine, ich muss ja dankbar sein, ich hatte bis heute nie eine schwere Verletzung wie einen Kreuzbandriss oder eine Operation am Knie oder an der Hüfte. Rücken- oder Schulterprobleme sind ja letztlich nichts Gravierendes. Es ist
aber denkbar, dass sich Beeinträchtigungen bei mir aufgrund meiner biomechanischen Eigenheit verstärkt auswirken. Meine Herausforderung ist weniger eine mentale als ein körperliche. Es ist nämlich krass, aber ich war in der Slalom-Disziplinenwertung noch nie mittelmässig klassiert gewesen. Entweder war ich top oder flop, entweder unter den ersten sechs oder hinter dem 25. Platz wie 2023/24.»
Der Rücken
«Seit meinem letzten Weltcupeinsatz im letzten März in Aspen bin ich beschwerdefrei. Dabei
helfen mir Pilatesübungen. Diese stärken meine tiefe Muskulatur. Jeden Morgen mache ich Pilates. Seit Monaten verspüre ich keine Schmerzen mehr.
Ich denke, aus den Niederlagen lernt man tatsächlich mehr als aus Siegen. Die Probleme mit meinem Rücken hatten ja letztlich begonnen, weil ich mir nicht treu geblieben bin. Weil wir Schweizer beim Weltcupslalom in Wengen im obersten Teil zu viel Zeit verloren hatten, kam es im Training in Hinterreit zu einem Wettbewerb. Dem schnellsten Schweizer bei der ersten Zwischenzeit versprach der Trainer 100 Franken. Ich hatte meinem Servicemann noch gesagt, dass ich heute nicht pushen werde, denn ich hatte schlecht geschlafen und fühlte mich nicht parat für den Vollangriff. Doch was machte ich? Am Start ging der Sportler mit mir durch, ich fuhr wie ein Ochse und kam nicht einmal bis zur ersten Zwischenzeit. Dafür habe ich beim Sturz einen Schlag auf den Rücken abgekriegt. Ich hatte im Tief der letzten Weltcupsaison viel über mich herausgefunden. Wie ticke ich? Wie funktioniere ich? Wie ticke ich nicht? Ich denke, ich hatte auch etwas die Freude verloren, es galt für mich lange immer mehr vor allem Stangen fressen und pushen, pushen, pushen. Freude ist zentral. Ich ging unter anderem mehr frei fahren und wollte wieder den lockeren und schönen Blick auf den Skisport zurückgewinnen.
Ich muss lernen, bei allem mehr auf mich und meinen Körper zu hören, statt nur lieb zu sein und allen Verpflichtungen nachzukommen. Ich muss mehr für meine Bedürfnisse schauen. Zum Beispiel brauche ich mehr Rückzugszeit für mich und neun Stunden Schlaf.»
Das Wallis‑Training
«Während die Mannschaft im August nach Argentinien ins Trainingslager flog, entschied ich
mich dagegen. Ich glaube nicht, dass das bei allen Nationen möglich gewesen wäre, aber Slalomtrainer Matteo Joris denkt sehr fortschrittlich. Er will in erster Linie für jeden die besten Voraussetzungen. Ich reise bereits das ganze Rennjahr hindurch viel, da musste ich nicht auch noch in der Sommerzeit so weit fliegen.
Vor allem: In Saas-Fee hatte es im Winter rund elf Meter Schnee gegeben, im Vorjahr nur vier. Da wusste ich im Frühling bereits, dass der Sommer dort oben für Training gut sein wird und dass mir dieser Plan
logisch erschien. Die Vorbereitung auf einer steilen Strecke war für mich denn auch ideal verlaufen. Die Saas-Feer hatten alles für mich getan, damit ich unter besten Bedingungen trainieren konnte. Das ist ein Beispiel dafür, dass ich noch konsequenter meinen Weg gehen muss.»
Die Prognose
«Über allem steht: Ich will gesund bleiben. Im letzten Weltcupwinter kam ich zu wenig schnell auf Touren. Ich will und muss Geduld haben. Nur nicht nervös werden, damit ich in den Flow reinfinde. Technisch mache ich mir keine Sorgen, mein Grundspeed ist weiterhin gut. Das zeigten sehr schnelle Abschnittszeiten. Die jungen Wilden beleben den Slalom, aber auch sie brauchen Zeit, um konstant zu werden. Die Dichte ist fast unglaublich, jeder oder fast jeder der Top 25 stand schon einmal auf dem Podest. Im Grunde genommen gilt im Slalom: Alle gegen alle. Und das ist spannend.»
Der Olympia‑Besuch
«Mit ein paar Kollegen ging ich im Sommer an die Olympischen Sommerspiele nach Paris. Eigentlich wollten wir uns den Tennisfinal Novak Djokovic gegen Carlos Alcaraz anschauen. Die Partie war zwar ausverkauft, rund eine Stunde erlebten wir auf dem Schwarzmarkt Diskussionen mit Händlern, es war ein Hin und Her. Einmal hatten wir Hoffnung, dann wieder zerschlug sie sich.
Ich wäre bereit gewesen, 500 Franken auszugeben, aber letztlich gaben wir es auf. Einmal gerieten wir sogar an zivile Polizeifahnder, die sich als Schwarzmarkthändler ausgaben. Letztlich landeten wir im Leichtathletikstadion, wo wir dem Weltrekord von Stabhochspringer Armand Duplantis beiwohnten.
Ich lasse mich gerne von anderen Sportlern inspirieren. Beispielsweise gehören Sportbiografien zu meiner bevorzugten Lektüre.»
Die Traumvorstellung
«Als Kind hatte ich neben dem Helipilot eine weitere Berufsvorstellung: Ich wollte Kapitän auf einem Riesendampfer werden. Daraus wird wohl nichts mehr (lacht), aber ich verfolge eine abgespeckte Variante davon. Eines Tages möchte ich das Segelbrevet machen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, ein paar Wochen oder Monate auf einen Törn zu gehen und Wassersport zu betreiben.
Das Spiel mit der Kraft der Natur und der Elemente fasziniert mich. Ich erkenne da Parallelen zum Skirennsport. Auch im Slalom geht es darum, den Körper so auszurichten, dass man die Kräfte nutzen kann und nicht gegen sie angehen muss. Wenn mir ohne Anstrengung die technisch perfekte Kurve gelingt, dann verspüre ich pure Freude. Ich weiss nicht, ob es noch was Schöneres gibt als dieses Gefühl der Leichtigkeit. Abschnittsweise gelingt das, aber ein ganzer Lauf in diesem Flow ist höchst selten oder fast nicht möglich. Trotzdem suchen wir jeden Tag genau das.»
Das Karriereende
«Ich habe mir auch schon die Sinnfrage gestellt, etwa, was mir das Leben sonst noch bieten kann.
Gerade in Zeiten, in denen es schlecht lief, gingen mir derlei Gedanken durch den Kopf. Aber das
führte nie in eine Sinnkrise. Aufhören wollte ich nicht, es hätte auch keinen Grund gegeben. Und es
hätte nach so vielen Jahren Investition auch keinen Sinn ergeben. Wie lange ich weiterfahren werde, entscheidet mein Körper. Denn wenn der Körper stimmt, dann stimmt auch der Geist. Stehe ich am Morgen wie ein Opa auf, dann lasse ich es bestimmt sein. Aber so ist es nicht. Mit der Oympiade 2026 (Red. Mailand-Cortina) und der WM 2027 im Wallis stehen Grossevents vor der Tür, an denen ich teilnehmen möchte, wenn es gesundheitlich klappt. Übrigens: In drei Jahren bin ich erst 35.»
Interview Roman Lareida wb