Gross, grösser, am grössten
Paul Accola, Anfang der 90er-Jahre enfant terrible, Gesamtweltcupsieger und Funktionärsschreck unter den helvetischen Pistenflitzern, hat seine eigene Meinung über die Osterrennen von Visperterminen, bekannter unter dem Namen
Alex-Berchtold-Gedenkriesenslalom. Als man ihn angefragt hatte, ob er womöglich Lust an einer Teilnahme verspüre, meinte er kurz und knapp: «Zu viele Leute, zu viel Fest, zu spät in der Saison. Nein danke!» Didier Cuche, vor nicht allzu langer Zeit weltbester Abfahrer, Sympathieträger und Österreich-Schreck in Kitzbühel, sah das Ganze etwas anders. Er war gefühlte zehnmal im Dorf des goldgelben, nussigen, bisweilen etwas rauchigen Heida, gekeltert aus der Weissweinsorte Savagnin blanc. Es heisst im Dorf salopp, der erste Lauf finde jeweils am Vorabend in den KellernVisperterminens statt,der zweite seidas effektive Rennen am Tag danach, an Ostermontag. Cuche also war im ersten Durchgang jeweils stark, dafür gewann der Favorit den Ernstkampf nie. Im zehnten Anlauf dürfte ihn der Ehrgeiz doch noch so richtig gepackt haben. In den Nachtstunden soll er gesagt haben: «So, jetzt geh ich besser wohl mal früher schlafen. Sonst gewinne ich hier nie.» Cuche war brav und… siegte prompt. Es istnichtüberliefert, obRamonZenhäusern und Ralph Kreuzer begnadete Nachtschwärmer sind oder nicht. Angesichts deren
Lebensläufentippenwir auf seriöseKandidaten. Jedenfalls hats gestern gereicht für einen Exaequo-Sieg. Der Weltcup-Slalomfahrer aus Visp und der ehemalige verletzungsanfällige Weltcup-Pechvogel aus Visperterminen sind mit der genau gleichen Zeit durchs Ziel gefahren. Die zwei Längsten erwiesen sich als die Grössten. Mit 52:03 waren sie rund eine halbe Sekunde rassiger unterwegs gewesenals die beidenWeltcup-Techniker Luca Aerni und Elia Zurbriggen. Der Heimsieg Kreuzers ist eine schöne Bescherung für den OK-Präsidenten. «Ein Comeback», so ein lachender Kreuzer, «gibts deswegen gleichwohl nicht.» Er lässt sich derzeit bei Athletenbetreuer Giusep Fry in Chur zum Sportmanager ausbilden. Der Laden gehört Swiss-SkiBoss Urs Lehmann. Zenhäusern, der andere Gewinner, hat damit seinen Sieg aus dem letzten Alex-Berchtold-Gedenkriesenslalom verteidigt.
«Ich habe im Weltcup nicht einen so grossen Schritt getan, wie ich es mir erhofft hatte.» Zenhäusern hat dreimal WC-Punkte gewonnen und ist im Slalom unter den Top 30 geblieben. Der Drittplatzierte Aerni plagte sich in diesem Winter mit seinem Rücken herum. Bloss sieben (!) Tage Schneetraining absolvierte er vor dem ersten Rennen in Levi. Normal sind
es gegen vierzig. «Ich bin froh, dass ich unter diesen Umständen unter den besten 30 geblieben bin.» Aerni fiel vom Rang 22 auf 29 zurück. «Jetzt gehts ganz gut. Trotzdem will ich beispielsweise die Beine genau vermessen lassen und schauen, ob sie unterschiedlich lang sind.» Der beste Riesenslalomfahrer, Zurbriggen, blieb gestern hinter diesem Trio zurück. Der Zermatter ist dafür im Weltcup von Platz 45 auf 33 vorgerückt. «Das Ziel waren aber die Top 30.» Sein 17-jähriger Bruder Alain hat in
Visperterminen familienintern bloss 1,3 Sekunden verloren. Die Freude ist aber wegen was anderem gross: Die Zurbriggens verreisen bald in die USA. Mit zweiWohnmobilen. Nicht verwunderlich bei fünf Kindern. Und Daniel Albrecht? Er hat falsch gepokert und zweieinhalb Sekunden auf die Sieger verloren. Albrecht ging von weichem Schnee und enger Kurssetzung aus, deshalb fuhr er einen Damenski. «Wer weiss, ob ich mit einem Herrenski genügend Power in den Beinen gehabt hätte. Nun weiss ich, dass der Rücktritt doch richtig war.» Der entwaffnende Humor jedenfalls ist ihm nicht abhandengekommen.