«Der Skikönig der Herzen»
Viel Volk, viel Promis – der Shootingstar des Weltcupwinters wird in Visp empfangen
Kaum einer weiss, dass Ramon Zenhäusern einmal Klarinette gespielt hat. Und wenn die Geschichte stimmt, dann soll der Vater Peter seinem Sohn irgendwann geraten haben, die «Stange mit den Tasten» wegzulegen und sich mit anderen Stangen zu beschäftigen. Der Tipp hat sich gelohnt. Zenhäusern spielt die Musik inzwischen auf den eisigen Slalom-Weltcuphängen. Er ist der Shootingstar des Slalomwinters, der sportliche Überflieger, der Überraschungsathlet schlechthin. Mit olympischem Gold und Silber wird er auf einem Skibob durch Visp chauffiert, gelenkt von Kilian Lochmatter, dem Schuhtechniker bei Rossignol, der sich dafür einsetzte, dass das
Unternehmen einen Spezialschuh anfertigt. «Ansonsten», so der Doppelmeter mit Schuhnummer 48, «hätte ich meine Zehen abschneiden müssen.» Viel Volk ist gekommen bei der offiziellen Feier der Gemeinde Visp, und viel Prominenz. Darunter mehrere Staatsräte und eidgenössische Räte, Herren-Cheftrainer Thomas Stauffer, Sepp Blatter, alte Idole wie Pirmin Zurbriggen, Daniel Albrecht oder Jürg Stahl, Swiss-Olympic-Präsident. Ein Tatzelwurm zog durch Visp, der kaum enden wollte. Gastgeber Niklaus Furger war stolz wie selten: «Ramon ist nicht nur der erste Visper Olympiasieger, er der Skikönig der Herzen.» Und Zenhäusern war baff: «Dass ich so vielen Menschen eine Freude bereiten kann, nur weil ich drei Minuten Ski fahre, ist schon «bireweich.» Und ich habe noch die grössere Freude, weil ihr alle so Freude habt», sagte er zum Publikum.
Was er noch lieber macht
Es gibt Sportarten, die stehen selbst für Zenhäusern über dem Skirennsport. Ja, die gibt es tatsächlich,
hyperaktive Tätigkeiten, die ihm noch mehr Spass bereiten, obwohl dort keine Medaillen und keine Prämien, keine Kameras und keine guten Verträge auf einen warten. Kitesurfen, Windsurfen, auf dem Katamaran segeln irgendwo auf den Gewässern dieser Welt – alle haben sie mit Naturgesetzen zu tun, mit Wellen und Wind. «Das mache ich noch lieber als Skirennen», sagt er und lacht sein Lachen. «Ich liebe das Meer. Das Wasser. Genial.» Dafür aber muss er sich noch ein wenig in Geduld üben. Die
Saison dauert weiter an, obwohl die Zeitumstellung ab morgen die Abende länger macht und damit den Winter endgültig zu verscheu
chen versucht. Noch etwas FIS
Rennen, Militärmeisterschaften, Schweizer Meisterschaften, ausklingende Wettbewerbe zwar, aber Zenhäusern ist kein Mann für halbe Sachen. Das wussten ein paar Menschen schon immer, seit Kurzem wissen es alle. Und dann am Ostermontag der traditionelle Alex-BerchtoldGedenkriesenslalom in Visperterminen, ein Rennen, von dem sein Vater Peter und der ehemalige
Servicemann Toni Berchtold hartnäckig behaupten, das sei das wichtigste Rennen im Jahr.
Olympiasieger 2026?
Erst Mitte April, zu einem Zeitpunkt, da einen allmählich das
Gefühl überkommt, die Skier seien zu verlängerten Beinen geworden, erst Mitte April also ist Ende Feuer. Dann stellt Zenhäusern seine Ski in den Keller, dort bleiben sie fast drei Monate. «Vielleicht mache ich dann eine Kreuzfahrt.» Wer die letzten Wochen und Monate Revue passieren lässt, der wird den Eindruck nicht los, als reite Zenhäusern seit geraumer Zeit auf einer Welle. Getragen von einem aufkommenden Wind, der geradezu zu einem Rückenwind ausgeartet war, der ihn von einem Tor zum anderen geblasen hat, von einer Erfolgsmeldung zur anderen, so, als könne er gar nicht mehr zum Stillstand kommen. Es wird bald der Tag kommen, an dem sich aller Weihrauch verflüchtigt, aller Rummel und Kurzweiligkeit verzogen haben und alle Posaunen still geworden sind. Dann werden Stolz, Freude und Befriedigung in Reinheit bei Zenhäusern angekommen sein. Er und sie allein. «Gott sei Dank habe ich seit den Erfolgen nichts von all den Vorbereitungen mitbekommen», meint er. «Gott sei Dank ist es immer weitergegangen, ansonsten hätte ich keinen richtigen Bogen mehr in den Schnee gebracht. Die volle Dimension des Erreichten habe ich wohl noch nicht realisiert. Ja, nicht realisieren können.» Gut möglich, dass Ramon Zenhäusern dann, wenn die Ruhe und die Distanz tatsächlich eingekehrt sind und tiefer Genugtuung Platz machen, irgendwo auf dem Meer auf einer Welle reitet. Auf einem neuen Glücksgefühl surft. Und weil der Übermut und die Olympia-Euphorie so gross waren am gestrigen Empfang in Visp, wurde bereits eifrig voraus geschaut. 2026 wird Zenhäusern 34 sein. André Myhrer wurde in Pyeongchang mit 35 Olympiasieger. Der Vize-Olympiasieger: «Ein Sieg zu Hause wär das Allergrösste.»
ROMAN LAREIDA