Der derzeit beste Slalomfahrer der Welt
Beim Weltcupfinal in Soldeu verteidigt Ramon Zenhäusern die Führung aus dem ersten Lauf und gewinnt knapp vor Lucas Braathen.
Klar, der Titel mag provokant tönen. Über die ganze Saison gesehen hat Lucas Braathen im Slalom am meisten Weltcuppunkte gesammelt und konnte die begehrte Kristallkugel in Empfang nehmen. 546 Punkte hat der Norweger auf seinem Konto. Auf Platz 2 folgt Henrik Kristoffersen mit 494, dahinter kommen zwei Schweizer. Mit seinem Sieg beim Weltcupfinal konnte Ramon Zenhäusern (467) seinen
Teamkollegen Daniel Yule (401) noch abfangen. Wenn man die Zahlen aber ein bisschen genauer analysiert, zeigt sich ein spezielles Bild: Zenhäusern hat nicht weniger als 320 Punkte in den letzten vier Rennen geholt, nicht weniger als 80 pro Rennen. Damit war er in der zweiten Saisonhälfte der klar eifrigste Punktesammler und somit der beste Slalomfahrer der Welt. Diese Position wusste der 30-Jährige beim Weltcupfinal eindrücklich zu bestätigen. Der Druck vor dem zweiten Durchgang war beträchtlich. Die Piste war arg gekennzeichnet und Ramon Zenhäusern ging als Führender nach dem ersten Lauf und
damit als Letzter ins Rennen. Doch Ramon Zenhäusern liess sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Er verlor zwar etwas Zeit auf Lucas Braathen, aber im Ziel waren es immer noch sechs Hundertstel Vorsprung. Und damit der zweite Weltcupsieg in dieser Saison, der vierte insgesamt (die je zwei Siege im City-Event und Team-Event nicht eingerechnet).
Der Servicemann und sein Lapsus
Halbzeit-Führende haben es im Slalom nicht einfach. In der letzten Saison hat kaum einer die Führung auch ins Ziel gebracht. Für Ramon Zenhäusern wars nach eigener Einschätzung das dritte Mal, dass er nach dem ersten Lauf in Führung lag. Zum Sieg gereicht hatte es bisher noch nie. «Deshalb bin ich schon stolz darauf, dass ich es diesmal ins Ziel gebracht habe», so Ramon Zenhäusern. «Es kann so viel passieren im Slalom. Du kannst die Lockerheit verlieren oder zu wenig Risiko nehmen. Diesmal hat alles gepasst. Das ist sicher der nächste Schritt in meiner Entwicklung», ist der Visper überzeugt.
Der Nachmittag verlief dann noch ziemlich stressig. Zenhäusern war bei mehreren Siegerehrungen dabei, dann das Packen und zu allem Überfluss hatte Servicemann Philippe Petitjean auch noch den Startmantel im Starthaus vergessen – mitsamt dem Natel. «Ab und zu vergisst er mal den Startmantel. Aber das
ist nicht weiter schlimm, solange er so schnelle Ski präpariert», sagte Ramon Zenhäusern mit einem Schmunzeln.
«Die Saison so abschliessen zu können, ist wunderbar und sehr emotional», sagte Ramon Zenhäusern gegenüber dem Schweizer Fernsehen und spricht damit den schwierigen Weg zurück an die Weltspitze an. Vor einem Jahr war er beim Saisonfinal nach einer schwierigen Saison am Boden zerstört gewesen und in seiner Spezialdisziplin Slalom nur noch die Nummer 25 der Welt. Die erste Saisonhälfte war denn auch schwieriger gewesen. Zenhäusern hatte da in sechs Rennen gerade mal 147 Punkte gesammelt. Zu
wenig, um in der Gesamtwertung die beiden Norweger noch bedrängen zu können. Während im Umfeld viele nervös wurden, blieb Zenhäusern immer ruhig. Der Weg zurück dauerte aus seiner Sicht auch nicht zu lange. «Wenn du mit der Nummer 25 in die Saison steigst, kannst du kein Rennen gewinnen. Bei mir zumindest funktioniert das nicht, ich bin kein Hasardeur. Ich muss mich Schritt für Schritt nach vorn kämpfen», so Ramon Zenhäusern. Kommt hinzu, dass die Ausgangslage in mehreren Rennen zu Beginn der Saison sehr schwierig war. Wenn man mit der Startnummer 25 ins Rennen steigt und im ersten Lauf auf Rang 10 fährt, ist das eine sehr ordentliche Leistung. Im zweiten Lauf geht man dann entsprechend als Zwanzigster ins Rennen, also noch einmal mit einer hohen Nummer und entsprechend gezeichneter Piste. Das macht es nicht einfach, in die Spitzenränge zu fahren. Zenhäusern hats geschafft, auf seine Weise: Schritt für Schritt. Ende Saison ist er wieder mitten unter den allerbesten Slalomfahrern. Entsprechend glücklich war er nach seinem Sieg und bedankte sich bei allen, die immer an ihn geglaubt und ihn unterstützt haben. «Wenn du gewinnst, bist du der ‹Siebesiech›, wenn es nicht so läuft, sind die
Kritiker schnell zur Stelle», betonte Ramon Zenhäusern. Für ihn sei das immer ein Ansporn
gewesen, hatte Ramon Zenhäusern im grossen Interview mit dem «Walliser Boten» vor den
Weltmeisterschaften betont.
«Ich lasse mich nicht so
schnell verrückt machen»
Im Nachhinein kann man das natürlich sagen, aber ganz spurlos geht so was halt doch nicht an einem Sportler vorbei. «Wenn Experten sagen, dass du technisch den Anschluss verpasst hast, verunsichert das schon. Dann stellst du dir schon gewisse Fragen», sagte Ramon Zenhäusern gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Jetzt hat er die Latte selbst wieder sehr hoch gesetzt. Die Erwartungen an ihn werden in der nächsten Saison umso höher sein. «Daran denke ich nicht. Ich geniesse den Moment und mit 30 Jahren und allem, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, lernt man, mit solchen Situationen umzugehen. Ich lasse mich nicht so schnell verrückt machen…»
Alban Albrecht/ wb, 20.3.2023