«Ich habe noch zehn Jahre Zeit»
Als Führender nach dem ersten Lauf zufrieden mit Rang 6. Ist das typisch schweizerische Genügsamkeit? Mitnichten. Ramon Zenhäuserns Karriereplanung ist wesentlich langfristiger.
ALBAN ALBRECHT
1968 hatte letztmals ein Schweizer in Kitzbühel den Slalom gewonnen: Dumeng Giovanoli. Nur die älteren Schweizer Skifans können sich an ihn erinnern. Kein Wunder, sehnt man sich in der Schweiz nach einem Erfolg auf dem Ganslernhang. Am Samstag war alles angerichtet. Ramon Zenhäusern zeigte im ersten Lauf eine tolle Leistung und fuhr mit Startnummer 13 Bestzeit. Klar keimten Hoffnungen auf.
Der zweite Durchgang gelang ihm dann aber nicht ganz fehlerfrei. «Oben und unten wars okay, dazwischen hats mir einmal die Ski verschlagen, das hat mich aus dem Rhythmus geworfen», so Ramon Zenhäusern.
Die Enttäuschung beim Visper hielt sich freilich in Grenzen. «Hätte man mir Rang 6 am Vortag angeboten, ich hätte unterschrieben», so Zenhäusern.
«Es ist extrem, was ich in dieser Saison alles dazulerne»
Geduld hat ihn immer schon ausgezeichnet. Auch in Zeiten, wo er auf einen Platz um die 20 «abonniert» schien und fast alle ihn
schon abgeschrieben hatten, sah er stets das Positive. «Es geht immer aufwärts, wenn auch in kleinen Schritten», hatte er damals betont und sich damit Mut gemacht.
Der 26-Jährige lässt sich auch durch die zahlreichen Erfolge der letzten zwölf Monate nicht verrückt machen. Das Rennen am Samstag in Kitzbühel sieht er deshalb in erster Linie als Lernprozess. «Vieles war neu an diesem Tag. Ich war noch nie nach dem ersten Lauf in Führung. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, werden mir in Zukunft helfen», ist sich Zenhäusern bewusst. «Ich habe noch zehn Jahre Zeit, da kommen noch einige Gelegenheiten, um in Kitzbühel zu gewinnen», so der Olympiazweite.
Das Hauptproblem war nicht einmal die Nervosität. «Ich denke, die Leute um mich herum waren nervöser, als ich selber. Aber ich ging zu früh ins Startgelände, als der Fünfzehnte losfuhr, danach gings sehr lange, bis ich an der Reihe war, da wurde ich nervös», blickt Ramon Zenhäusern zurück.
Kommt hinzu: Auch Rang 6 ist ein gutes Resultat, das wertvolle Punkte bringt. «Was man hat, das hat man.» Nach dem Ausfall in Wengen hat er in dieser Saison doch schon drei Nuller auf dem Konto.
«Wenn du keine Punkte holst, rutschst du schnell nach hinten und bist plötzlich nicht mehr in den besten 15», weiss Zenhäusern. Aber auch für den Kopf ist ein Erfolgserlebnis gut. «Slalom ist Psychokrieg. Wer einmal ganz oben stand, verlernt ja nicht von einem Tag auf den anderen das Skifahren. Und dennoch gibts genügend Beispiele, in denen plötzlich gar nichts mehr läuft», betont
der Visper.
Trotzdem will Zenhäusern nicht allzu viel an die Punkte denken. «Ich will voll angreifen, aber auch da muss ich die richtige Mischung finden. Wenn du übermütig wirst, holt es dich ganz schnell ein. In Wengen dachte ich am Morgen: ‹Heute reisse ich alles›, bin dann nicht weit gekommen», so Zenhäusern. «Es ist extrem, was ich in dieser Saison alles dazulerne.»
Wegen der Vorverschiebung auf den Samstag hat er nun bis zum Slalom in Schladming (am Dienstagabend) einen Tag mehr Erholung. «Da bin ich sehr froh drum. In den letzten Jahren war das immer ein bisschen knapp.» Und ist auf dem steilen Hang in Schladming ein Spitzenplatz möglich? «Ich bin überzeugt, dass ich auch auf diesem Hang richtig schnell fahren kann, und ich bin gespannt, ob ich es im Rennen bringen kann. Vor 50000 Zuschauern zu fahren ist auf alle Fälle immer ein Highlight», so der Visper. Der Daumen stört ihn übrigens kaum noch. Letzte Woche wurde geröntgt, der Bruch ist noch nicht verheilt, aber es ist alles im Fahrplan. Er wird wohl die ganze Saison mit der Schiene fahren müssen, «was mich nicht stört». Auch im Alltag ist er ein bisschen eingeschränkt, muss alles mit der rechten Hand machen. «Das Anziehen dauert länger, aber das nehme ich gerne ich Kauf, wenn ich denke, dass ich vor Wochen mit dem Saisonende hatte rechnen müssen, und wenn ich denke, was ich nun alles erlebt habe.»