Zenhäusern mit Gold und als Fahnenträger: Der krönende Abschluss
ROMAN LAREIDA
Um 1.54 Uhr hämmerte sein Kopf so richtig. Es dröhnte da drinnen. Es tat weh. Das unwohle Gefühl machte sich bereits nach dem Rennen bemerkbar. Dann der Marathon bei Medien, Promis und Sponsoren, ein Schwatz
mit dem sportfaulen Sportminister Guy Parmelin, die Zeremonie,das obligate Rendezvous mit dem Cervelat-Promiblatt «Schweizer Illustrierte», die Party im Swiss House. Im Nachhinein wird Ramon Zenhäusern sagen, es sei die erste und einzige richtige Party im Schweizer Haus gewesen.
«Ich war kaputt» Kollegen und Kolleginnen zogen gegen 2 Uhr nochweiter ins Österreicher Haus. Es ist ja irgendwie lustig, mit Gold um den Hals bei den Erzrivalen vorbeischauenzugehen. Doch Zenhäusern ging aufs Hotelzimmer:
«Ich war kaputt.» Die Konzentration auf das Teamrennen nach dem Silbergewinn habe brutal viel Energie gekostet. Eine grosse Rolle spielte dabei Franck Trötschkes. Er hat es nicht gerne, wenn man ihn Mentaltrainer nennt, das könne jeder von sich behaupten. Er sieht sich als Sportpsychologe. Beispielsweise sprach Trötschkes
dem Oberwalliser zwischen Slalom und Team-Event verschiedene Texte vor, die sich dieser abends vor dem Einschlafen anhörte und verinnerlichte. Zenhäusern: «Das hat mir sehr geholfen, runterfahren und mich
neu fokussieren zu können.» Bald wusste der Oberwalliser, dass er an der Abschlussfeier Fahnenträger der Schweizer Delegation sein wird. «Was für eine grosse Ehre. Das ist ja fast, als gewänne ich noch eine
dritte Medaille.» Kein Wunder also seine grosse Müdigkeit. DerVisper reiste als einer unter vielen
an die Olympischen Winterspiele und kehrt als einer unter wenigen zurück.Als er vor zwei Wochen hinflog, stach er körperlich oben aus. Wenn er heute um 17.40 Uhr in Zürich landet, ragt er auch sportlich heraus. Gold im Team-Event und Silber im Spezialslalom – damit hat er sich einen ewigen Platz in der olympischen Walliser Goldriege im alpinen Skirennsport erschaffen. Er ist der vierte Exklusive nach Max Julen (1984, Riesenslalom),
Pirmin Zurbriggen (1988, Abfahrt) und Didier Défago (2010, Abfahrt). «Mir fehlen die Worte»,
sagt er nur noch. Manch einer fragte sich in den letzten Monaten, wie viele Jahre nun NHL-Spieler Nico Hischier
wohl Walliser Sportler des Jahres werden wird. Die überraschende Antwort haben wir seit Pyeongchang. Und wer
weiss, wie die Schweiz abstimmen wird Ende Jahr. Zenhäusern war im goldigen Team-Event der Chef am Berg in
Yongpyong. Er putzte in den Achtelfinals den für Ungarn startenden Kroaten Dalibor Samsal weg, in den Viertelfinals den Deutschen Alexander Schmid, in den Halbfinals den aufstrebenden Franzosen Clément Noël und beim süssen Finalerfolg den Österreicher Michael Matt. Gegen die Deutschen hat sich das Schweizer Viererteam über die Zeit durchgesetzt dank Zenhäuserns zweitschnellsten des Tages. Und gegen Noël sah es am Anfang nicht gut aus. Zenhäusern unterlief ein Fehlstart. «Was danach folgte», so Zenhäusern, «war die Fahrt meines Lebens.» Das Erstaunlichste an diesem Team-Event ist, dass sich mit den Parallelrennen eine neue Disziplin oder Alternative für die darbende Kombination öffnen könnte. Der Zuschauerzuspruch zumindest spricht dafür. Nie waren an einem SkirennenandiesenSpielenmehr Fans im Zielraum als beim Mannschafts-Wettbewerb. Das sind Perspektiven, die gerade Zenhäusern in die Hände spielen. «Mich reizt das Duell
ManngegenMannenorm», sagt der Visper. «Gegen den Deutsche Schmid war ich zwar schneller, aber rund sieben
Zehntel Sekunden langsamer als sonst.Wenn mich mein Gegner herausfordert, dann bin ich noch besser. Das stachelt mich richtiggehend an.»
«Bei Plaschy
gabs immer
nur Wettkampf»
Ramon Zenhäusern
Diese Mentalität kommt nicht von ungefähr. Didier Plaschy lehrte sie ihn. Er trichterte den kompetitiven Biss seinem Rennschüler jahrelang regelrecht ein. Der Techniktüftler und der baumlange Slalomfahrer – da
haben sich zwei Extreme gefunden und gegenseitig den Narren aneinander gefressen. Zenhäusern:
«Bei Plaschy gab es von morgens bis abends nur Wettkampf. Immer nur Wettkampf.
In allem.» Selbst im langen Metrotunnel auf Felskinn kam es zu Fuss zu Rennen mit den Slalomstangen auf dem Buckel. Dabei ist egal, wer zuerst bei der Bahn ist. «Wir haben früher oft neben der Piste auf welliger oder buckliger Unterlage Parallelslalom trainiert. Der Ursprung, dass mir diese Disziplin Mann gegen Mann heute so gut liegt, ist in jener Zeit zu finden.»Dazu gehören auch die vielen Kickbox-Trainingsmit FranzGruber
oder gegen Gabriel Taccoz. Deshalb war es auch kein sonderliches Problem, dass Zenhäusern das erste gezielte Training in einem Parallelparcours erst nach dem Weltcuprennen in Schladming auf der Reiteralm absolviert hatte. Für die Aussenstehenden war es überraschend, wie er überzeugte. Auf einer Fahrt von 17 Sekunden
war er regelmässig eine halbe Sekunde schneller als Luca Aerni oder Daniel Yule. «Zuerst dachte ich, dass es am Rücken von Luca liege. Dann merkte ich, dass es an mir lag.»
Die sogenannte Cross-Blocking-Technik
(Red. direktes Losfahren auf die Torstangen und das Wegboxen der Flaggen mit angewinkelten Armen)
kommt grossen Fahrern zugute. Zum Versuch in der Steiermark hatte ihn Konditionstrainer Thomas Sjödin ermuntert. Der Schwede war zuvor Coach im schwedischen Verband und arbeitete mit Myhrer zusammen.
Der Slalom-Olympiasieger wiederum gilt als Pionier der speziellen Fahrweise für Parallelrennen. Sjödin und Myhrer stehen nach wie vor in Kontakt zueinander. Zenhäusern: «Thomas ist unser Team-Event-Guru».
Cross-Blocking-Technik:
Vergleich mit Hirscher
Kraftfahrer Marcel Hirscher beispielsweise haderte zuletzt mit der Cross-Blocking-Technik. Er, so der 1,73 cm kleine Österreicher, habe zu wenig Masse, sei zu klein und habe deshalb nicht die perfekte Übersicht.
Irgendwann, so Zenhäusern, würden auch Hirscher und die kleineren Rennfahrer dafür eine Lösung finden.
Technikfahrer Ramon Zenhäusern hat eindrücklich bewiesen, dass man eine angebliche (Hebel-)Schwäche in eine grosse Stärke umwandeln kann. Das ist vielleicht sein allergrösstes Zeichen. Mit Südkorea hat er eine
neue «Liebe» gefunden. Das Land sei ihm ans Herz gewachsen. «Aber die Menschen können nicht Nein sagen. Sie reden lieber um den heissen Brei.» Das Gegenteil dessen hat er definitiv von Plaschy gelernt.